Interview mit Martina Merz, Vorstandsvorsitzende der thyssenkrupp AG und Mitglied im Verwaltungsrat der AHK Frankreich
Frau Merz, Sie sind eine erfolgreiche Frau in der Wirtschaft. Könnten Sie uns kurz Ihren Werdegang schildern?
Ich bin 1963 geboren und im Südwesten Deutschlands zwischen Stuttgart und dem Bodensee aufgewachsen. Mein Abitur habe ich an einem technischen Gymnasium gemacht. Übrigens nur 20 km entfernt von Rottweil, wo thyssenkrupp später den Testturm für seine Aufzüge gebaut hat. Danach habe ich Maschinenbau studiert und bin bei Bosch eingestiegen.
2001 habe ich die Geschäftsführung der Robert Bosch Schließsysteme GmbH übernommen. Als Bosch diese an die Brose Fahrzeugteile GmbH & Co. KG in Wuppertal verkaufte, bin ich mitgegangen und habe mich praktisch „mit verkauft“. 2005 bin ich zu Bosch zurückgekehrt, in die Kfz-Sparte. Als Bereichsvorstand der Einheit Chassis System Brakes war ich für Marketing und Vertrieb sowie China und Brasilien zuständig. Das Engagement ging bis 2012, als Bosch einen Teil seines Bremsengeschäfts an den US-Investor KPS verkaufte. Wieder bin ich den Weg in die neue Gesellschaft mitgegangen und wurde im niederländischen Eindhoven CEO – und Teilhaberin – bei Chassis Brakes International, dem größten Bremsenhersteller der Welt.
2015 habe ich mich neu orientiert. Ich bin seitdem selbständige Unternehmensberaterin und Aufsichtsrätin, dazu gehört ein Mandat beim französischen Baukonzern Imerys. Vor gut einem Jahr bin ich an die Spitze des Aufsichtsrats der thyssenkrupp AG gewählt worden. Seit 1. Oktober bin ich für ein Jahr entsandt, um als Vorsitzende des Vorstands der thyssenkrupp AG die neue Strategie und Transformation des Unternehmens umzusetzen. Arbeit und Leben spielen sich heute zwischen Essen, Stuttgart und Paris ab, dort habe ich auch eine Wohnung. Ich kann sie gerade nur nicht so häufig nutzen.
Auf welche Erfolge in Ihrer Berufslaufbahn sind Sie besonders stolz? Was waren schwierige Etappen?
Lassen Sie mich lieber über meine Haltung sprechen: Ich begeistere mich dafür, mit Menschen sprichwörtlich Berge zu versetzen. Ich habe viele Veränderungen durchlebt und aktiv mitgestaltet. Werte wie Respekt, Ehrlichkeit und Fairness stehen für mich immer im Mittelpunkt. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Beim Verkauf der Bosch Bremsen-Sparte an einen anderen Zulieferer bin ich ohne Rückfahrkarte mit meinem Team in eine ungewisse Zukunft gegangen. Anderen etwas zuzumuten, ohne selbst ein Risiko einzugehen, das ginge mir gegen den Strich.
Vor allem die Industrie ist sehr maskulin geprägt, nun stehen Sie als Frau an der Spitze eines Industriekonzerns. Welche Kompetenzen muss man dazu mitbringen?
Ich bin nicht dorthin gekommen, wo ich heute stehe, weil ich eine Frau bin. Vielmehr glaube ich, dass es hilft, wenn man nicht eitel ist. Es ist nicht so sehr das Geschlecht, sondern eher die Art, sich uneitel in den Dienst der Sache zu stellen und sich vor allem auf das Ergebnis zu fokussieren. In meinem Umfeld hat es geholfen, nüchtern und zupackend aufzutreten und Missstände offen anzusprechen.
Wie können mehr Frauen in Führungspositionen kommen? Welche Hindernisse müssen Frauen überwinden?
Ich bin vor schwierigen Aufgaben nie davongelaufen. Ich setze auf Teamleistungen, aber ich möchte schon auch entschieden führen. Was ich sagen will: Frauen müssen bei Chancen, die sich ihnen bieten, entschlossen zupacken.
Wie ist Ihre Meinung zu der staatlich vorgeschriebenen Frauenquote? Welche anderen Maßnahmen wären förderlich?
Eine gesetzliche Frauenquote für den Vorstand ist nur die Ultima Ratio, denn sie zielt allein auf kurzfristige Kosmetik. Zwar ist es nachvollziehbar, dass die Politik ihre Mittel einsetzt, um mehr Frauen den Weg in die Vorstände zu ebnen. Doch wir bei thyssenkrupp treffen lieber feste Verabredungen und ambitionierte, glaubwürdige Ziele, die zu unserem Unternehmen passen. Wir setzen auf die Kompetenz unserer Mitarbeiterinnen, die wir möglichst früh systematisch fördern und entwickeln. Zur Zeit sind 23% Frauen in unseren Talentprogrammen, deutlich mehr als die 15% Frauen in der Gesamtbelegschaft. So legen wir die Grundlage, dass unsere nächste Vorstandsvorsitzende aus den Reihen unserer eigenen Führungskräfte kommen kann.“
Welche Ratschläge können Sie jungen Frauen geben, die Karriere machen wollen?
Ich nenne nicht umsonst gerne Simone de Beauvoir als Vorbild. Ich finde solche Frauen beeindruckend, die Verantwortung übernehmen und ihr Schicksal selbst gestalten. Das mal grundsätzlich. Ich bin aber zurückhaltend mit Ratschlägen. Ich kann nur sagen, was für mich richtig ist. Dann können sich andere Frauen überlegen, wie sie das für sich bewerten.
Als Maschinenbau-Ingenieurin interessiere ich mich für technologische Innovation und deren Skalierbarkeit auf globalen Märkten. Frauen brauchen noch mehr als Männer ein gutes Fundament. Und Mut. Und ein Netzwerk kann nicht schaden. Persönlich habe ich unbequeme Wahrheiten und die Konsequenzen daraus nie gescheut. Moderationsfähigkeit ist das eine, der Wille auch zu klaren Ansagen, wenn sie dem Unternehmen dienen, das ist das zweite.
Schon im Aufsichtsrat hat mir außerdem meine Fähigkeit geholfen, viele Perspektiven einzunehmen. Ich lebe und arbeite in Stuttgart und Paris, ich reise gern in andere Kontinente. Das ist mein gelebter Perspektivenwechsel. Wertvorstellungen und Interpretationen werden dadurch ständig in Frage gestellt und verschieben sich mitunter. Wie die Franzosen ihre Meinung äußern, wie sie sich solidarisieren, das beeindruckt mich mitunter sehr. Auch das weibliche Rollenmodell der Franzosen gefällt mir. In Frankreich lässt sich das Bild einer Managerin mit dem einer Frau leichter versöhnen, anders als bisweilen hier in Deutschland.
Aber eines will ich auch sagen: Ich habe selber keine Kinder, deshalb taugt meine Karriere nur bedingt als Rollenvorbild für Frauen.