Interview mit Agnès Pannier-Runacher, Delegierte Industrieministerin im französischen Ministerium für Wirtschaft, Finanzen und Konjunktur
1) Frau Ministerin, Sie sind eine Frau, die seit kurzem einen Teil ihrer Karriere in der Politik verbracht hat. Können Sie Ihren Werdegang beschreiben?
Meine berufliche Karriere zeugt in erster Linie von einem starken Engagement im öffentlichen Sektor: Bildung, Politik, Gesundheit, usw. Zudem habe ich mich auch Herausforderungen in der Privatwirtschaft gestellt. Daher ist mein beruflicher Werdegang nicht gradlinig; sondern von meiner Neugierde und meinem Wissendrang geprägt.
Ich wollte eigentlich Medizin studieren, habe ich mich jedoch dann für ein Wirtschaftsstudium entschieden. Nach meinem Abschluss an der wirtschaftlichen Hochschule HEC habe ich zunächst an der Sciences Po studiert und trat nach dem Abschluss der ENA in den gehobenen öffentlichen Dienst ein. Danach bin ich in den höheren Staatsdienst eingetreten, erst als Finanzinspektorin und dann als Stabschefin des Generaldirektors der französischen Krankenhausverwaltung. Dauraufhin wurde ich zur stellvertretenden Direktorin für Finanzen und Strategie bei der „Caisse des Dépôts“ ernannt, und arbeitete während der Finanzkrise 2008 an der Umsetzung des strategischen Investitionsfonds.
Nach dieser beruflichen Erfahrung im Staatssektor wechselte ich 2011 in die Privatwirtschaft. Bei „Faurecia Systèmes d'Intérieur“, einem wichtigen französischen Automobilzulieferer, war ich Abteilungsleiterin für Forschung und Entwicklung. 2013 wurde ich stellvertretende Geschäftsführerin bei „Compagnie des Alpes“, einem börsennotierten Unternehmen im Freizeitsektor. Schließlich trat ich 2018 als Staatssekretärin in die Regierung des Wirtschafts- und Finanzministers Bruno Le Maire ein und wurde im Juli 2020 zur Delegierten Ministerin für die Industrie ernannt.
2) Auf welche Leistungen in Ihrer beruflichen Laufbahn sind Sie besonders stolz? Was waren schwierige Schritte?
Jeder neue Beruf war eine Herausforderung für mich. Ich habe mich immer in die Arbeit gestürzt, bis ich die neuen Themen beherrschte.
Aber wenn ich zwei Höhepunkte in meiner bisherigen Karriere nennen soll, dann möchte ich zuerst meine Ankunft in einem Faurecia-Werk erwähnen. Zu der Zeit hatte ich noch nicht einmal einen Führerschein und ausschließlich im öffentlichen Sektor gearbeitet. Der Automobilsektor zeichnet sich durch eine extreme Rigorosität aus: der Kostendruck, der ständige Druck des globalen Wettbewerbs... Hier habe ich wahrscheinlich am meisten gelernt.
Der zweite Höhepunkt war meine Ankunft im Ministerium für Wirtschaft, Finanzen und Konjunktur, als ich noch keine politische Erfahrung hatte, außer der Präsidentschaftskampagne von Emmanuel Macron in einer Außendienstfunktion. Dies erforderte, dass ich neue Gewohnheiten und neue Verwaltensweisen erlernte, wobei ich von einem Ziel besessen war: in meinem Bereich wirklich etwas zu bewirken und meine Überzeugungen wirksam zu vertreten.
Heute bin ich stolz auf die Art und Weise, wie der französische Präsident und seine Regierung die Krise gehandhabt haben, sowohl aus gesundheitlicher als auch aus wirtschaftlicher Sicht. Niemand wurde auf der Strecke gelassen, Arbeitgeber und Arbeitnehmer wurden unterstützt. Auf der Ebene des Industrieministeriums bin ich stolz auf unsere Maßnahmen, die darauf abzielten, die Fabriken so schnell wie möglich wieder in Betrieb zu nehmen und die gewerbetreibende zu mobilisieren, sodass sie innerhalb weniger Wochen die Schutzausrüstung herstellen konnten, an der es so dringend mangelte. Durch die ständige Abstimmung mit Unternehmen und Akteuren der Zivilgesellschaft seit den ersten Wochen der Pandemie wurde die flexible Arbeitsweise zum echten Erfolg. Schließlich glaube ich, dass wir sowohl auf französischer als auch auf EU-Ebene, den Grundstein für eine ehrgeizige Industriepolitik geschaffen haben. Das Konjunkturprogramm bedeutet, dass bei einem von drei Industrieunternehmen ein oder mehrere Projekte unterstützt und beschleunigt wurden.
3) Die Politik ist immer noch sehr männerdominiert, und Sie sind als Frau Delegierte des Ministeriums für Industrie. Welche Fähigkeiten müssen Sie mitbringen, um als Frau in der Politik erfolgreich zu sein?
Ich glaube nicht, dass es einen weiblich geprägten Führungsstil gibt. Im Gegenteil, ich glaube an einen Führungsstil, der Vision, Einfühlungsvermögen und Überzeugungskraft miteinander verbindet und den es sowohl bei Frauen als auch bei Männern gibt. Wenn wir auf Gemeinsamkeiten zwischen allen Frauen hinweisen, frage ich mich, wie viel davon auf Stereotypen zurückzuführen ist und wie viel auf kulturelle Zwänge, die wir als Frauen übernommen haben und die leider das berühmte Hochstapler-Syndrom nähren.
Tatsache ist, dass die Politik nach wie vor von Männern dominiert wird, auch wenn das dank der Paritätsgesetze zurückgeht. Aber die Kultur, die Zusammenhänge und der Zugang zu den höchsten Positionen sind noch sehr maskulin geprägt. Es bleibt noch viel zu tun, vor allem auf lokaler Ebene, um Frauen davon zu überzeugen, sich zu engagieren, Verantwortung zu übernehmen und sich bemerkbar zu machen.
Als Ministerin versuche ich jedoch, mit dieser Form von Konservatismus zu brechen, indem ich mehr auf Details achte und neue Handlungsweisen entwickle. So haben wir beispielsweise während der Covid-Krise Taskforces gebildet, die sich aus verschiedenen Profilen zusammensetzen und sich mit Masken oder Impfstoffen befassen. Wir haben unsere Türen für Vorschläge für die Zusammenarbeit mit privaten Akteuren geöffnet. Wir haben versucht, herauszufinden, was die Franzosen schützen würde, bevor wir überprüft haben, ob es den üblichen Arbeitsmethoden entspricht. Dies war eine völlig neue Arbeitsweise, die sich als sehr effektiv erwies.
4) Was kann getan werden, um mehr Frauen in wichtige Positionen zu bringen? Welche Hindernisse müssen die Frauen überwinden?
Der erste Hebel, an dem wir ansetzen müssen, ist das Selbstvertrauen der Frauen. Damit Frauen wichtige Positionen erreichen können, müssen sie sich zunächst um diese Positionen bewerben. Heute neigen Frauen jedoch allzu oft dazu, sich selbst zu unterschätzen und zu denken, dass verantwortungsvolle Positionen nichts für sie sind. Ebenso müssen Frauen in einem breiteren Spektrum von Ausbildungen vertreten sein, vor allem in wissenschaftlichen und technischen Bereichen.
Der zweite Hebel, an dem wir ansetzen können, ist die Organisationskultur. Wir müssen den Systemen, in welchen Männer andere Männer bevorzugen, ein Ende setzen. Wir brauchen eine offene und transparente Einstellungspolitik, bei der jeder mehr nach seinen Fähigkeiten als nach seiner Nähe zum Entscheidungsträger beurteilt wird. Das bedeutet, dass die außerberuflichen Unterschiede zwischen Männern und Frauen abgebaut werden müssen, damit jeder sein Privat- und Berufsleben besser in Einklang bringen kann. Dies hat die Regierung zum Beispiel mit der Verlängerung des Vaterschaftsurlaubs auf 28 Tage getan.
Schließlich sind Quoten ein wirksames Instrument, um mehr Frauen den Zugang zu wichtigen Positionen zu ermöglichen. Die Ergebnisse des vor zehn Jahren verabschiedeten Copé-Zimmermann-Gesetzes zur beruflichen Gleichstellung sprechen für sich. Der Gesetzentwurf Castaner-Rixain, der im Herbst im Parlament diskutiert werden soll, wird es ermöglichen, dieses Modell auf die Geschäftsführung zu übertragen. Ich denke, man muss akzeptieren, von Zeit zu Zeit eine "Quotenfrau" zu sein, um die Chance zu haben, sich zu beweisen und auf dem Radar der Kandidaten für verantwortungsvolle Positionen zu erscheinen. Quoten tragen dazu bei, die Glasdecke zu durchbrechen. Und alle Umfragen zeigen, dass Vielfalt eine Leistungsquelle ist.
5) Welchen Rat können Sie jungen Frauen geben, die eine Karriere anstreben?
Zunächst einmal müssen Sie einen Bereich finden, der Sie begeistert. Wenn Sie Ihre Leidenschaft gefunden haben, geben Sie alles und glauben Sie an sich. Man kann scheitern, aber der größte Fehler, den man machen kann, ist, nicht aus seiner Komfortzone herauszugehen. Seien Sie neugierig auf alles und hören Sie auf Ihre Wünsche, das ist das Wichtigste. Denken Sie daran, dass es nie zu spät ist, Ihre Entscheidungen zu treffen, und lassen Sie sich nicht von denen beeinflussen, die Sie entmutigen wollen. Der Weg ist manchmal schwierig, aber er lohnt sich, vor allem, wenn man die Mittel hat, um durch Arbeit erfolgreich zu sein.
Und wenn Sie Ihr Zeichen gesetzt haben, möchte ich Sie auf zwei Dinge aufmerksam machen. Das Erste ist, wenn Ihnen eine Beförderung angeboten wird: Geben Sie der besonders weiblichen Versuchung nicht nach, an Ihren Qualitäten und Fähigkeiten zu zweifeln. Wenn sie Ihnen angeboten wird, dann deshalb, weil man an Sie glaubt. Kein Manager macht sich eine Entscheidung in diesem Bereich leicht. Fragen Sie sich stattdessen, welche beruflichen und persönlichen Ressourcen Sie benötigen, um die Herausforderung zu meistern. Zweitens: Verlassen Sie sich nicht auf die Strategie "Klassenbester", indem Sie hart arbeiten, um Ihre Kompetenz zu beweisen. Denken Sie frühzeitig über Bündnisstrategien nach, investieren Sie in Ihre Netzwerke, entwickeln Sie Ihre zwischenmenschlichen Fähigkeiten, und suchen Sie sich Mentoren oder vertrauenswürdige Partner, die Ihnen dabei behilflich sind.