Wie meistern deutsche Unternehmen in Frankreich die Coronakrise? Das Beispiel Multivac

04.06.2020

Ein Interview mit Christophe Charoy, Geschäftsführer von Multivac Frankreich

Herr Charoy, welches sind die Geschäftsaktivitäten von Mutlivac in Frankreich?

Multivac France ist eine der größten Tochtergesellschaften eines typischen deutschen Mittelstandsunternehmens und erfolgreichen Familienunternehmens mit Sitz im Allgäu und mehr als einer Milliarde Umsatz und rund 6.500 Mitarbeitern in der ganzen Welt. Ich leite das Geschäft in Frankreich, wo die Firma seit mehr als 50 Jahren aktiv ist, derzeit rund 50 Millionen Euro im Jahr erwirtschaftet und 125 Mitarbeiter zählt. Wir produzieren hauptsächlich Verpackungsmaschinen für die Nahrungsmittelindustrie sowie für die Pharmazeutik und die Medizintechnik. So gehen zum Beispiel viele Verpackungen, die man im Supermarkt findet, ob von Schinken, Käse oder Fertiggerichten, auf Multivac zurück. Im Bereich der Verpackungstechnik haben wir weltweit einen Marktanteil von rund 65 Prozent.

Welche Bedeutung hat der französische Markt für Multivac?

Frankreich ist ein sehr wichtiger Markt für uns. Das Volumen der Nahrungsmittelindustrie beläuft sich auf 17 Prozent der gesamten französischen Industrie. Damit stellt der Bereich der Nahrungsmittel und Getränke eine große Wirtschaftskraft dar, zumal er viel exportiert.

Welche Auswirkungen hatte die durch das Auftreten von Covid-19 ausgelöste Krise auf die Aktivitäten Ihres Unternehmens?

Die meisten unserer Kunden sind durch den erhöhten Konsum der Franzosen in die Hochproduktion übergegangen. Bei manchen Produkten wie Schinken,Hackfleisch oder Hacksteaks ist die Produktion regelrecht explodiert, auch bei Tiefkühlprodukten hat sie zugenommen, während sie bei Fertiggerichten wiederum zurückging. Für uns hatte diese Entwicklung zwei bedeutsame Konsequenzen. Zum einen war der Kundendienst sehr gefragt: Da wir über 1.600 Maschinen in Frankreich haben, die jeden Tag produzierten, hat unser Serviceteam in dieser ganzen Phase zu 100 Prozent durchgearbeitet. Denn es war wichtig, die Produktionsanlagen zu warten und sicherzustellen, dass sie auch zuverlässig produzierten in einer Zeit, wo sehr hohe Nachfrage herrschte. Das zweite Phänomen, das wir feststellten, liegt im kommerziellen Bereich: Nicht strategische Projekte, die nicht dringend waren, wurden auf das Jahr 2021 verschoben; dafür kamen andere, neue Projekte hinzu von Kunden, deren Maschinen alt waren oder zu wenig Produktionskapazität hatten und die diese aufrüsten mussten. Unter dem Strich gehen wir davon aus, dass wir in diesem Jahr einen leichten Umsatzrückgang erleben werden, aber durch die Nähe zur Nahrungsmittelindustrie wurden wir im Vergleich zu anderen Sektoren weitgehend verschont von schwerwiegenderen Konsequenzen.

Wie hat sich diese Krise auf die Organisation Ihres Unternehmens ausgewirkt und haben Sie auf die  Möglichkeit der Kurzarbeit zurückgegriffen?

Bei uns war Kurzarbeit kein Thema. Wir haben zwar zunächst vorsichtshalber einen Antrag eingereicht, aber nicht darauf zurückgegriffen. Mehr als die 70 Angestellten im Stammhaus sind ins Home Office gegangen – das hat wunderbar funktioniert. Dank der Flexibilität aller haben wir innerhalb von nicht einmal zwei Tagen etwas organisiert, das in normalen Zeiten wohl mindestens neun Monate an langwierigen Verhandlungen und Absprachen in Anspruch genommen hätte! Wir mussten auf die Schnelle sicherstellen, dass alle Mitarbeiter mit ihren Druckern und Druckerpatronen, Bildschirmen und Tastaturen nach Hause gehen und weltweit Zugänge haben, um über unser internes Netzwerk kommunizieren und arbeiten zu können. Wir haben es geschafft, weil alle inklusive der Betriebsrat an einem Strang gezogen haben. Mit dem Betriebsrat haben wir eine provisorische Charta bis Jahresende als juristische Grundlage beschlossen und werden für die Zeit danach eine endgültige Charta verhandeln.

Wird sich nach der Krise die Möglichkeit, von zuhause aus zu arbeiten, etabliert haben?

Ja, wir werden in der Zukunft für bestimmte Berufe und Funktionen mehr Home Office zulassen, auch wenn wir es nicht so allgemein für alle umsetzen werden wie während der Coronavirus-Krise. Wichtig war in all der Zeit, dass das Unternehmen die Kommunikation mit allen Mitarbeitern im Home Office aufrecht erhielt, die auch untereinander in Kontakt standen mit Nachrichten oder per Telefon. Es ging darum zu zeigen, dass alle noch da sind und regelmäßig bei Kollegen nachzufragen, wie es ihnen geht. Wir haben jede Woche einen Newsletter versendet, in dem es etwa um die Frage ging, wie man im Home Office seinen Tag organisiert oder wie man sich um seine Gesundheit kümmert.

Gab es Auswirkungen auf die Zusammenarbeit mit den Kunden?

In dieser Hinsicht hat sich nicht viel verändert, denn in der Nahrungsmittelindustrie ist es längst gang und gäbe, dass in den Fabriken höchstes Hygieneniveau herrscht. Jeder, der einen Produktionsbetrieb in der Nahrungsmittelindustrie betritt, trägt grundsätzlich Kopfschutz, hat sich die Hände gewaschen und desinfiziert, trägt Stiefel, Mundschutz und entsprechende Schutzkleidung. Über die ohnehin geltenden Sicherheitsmaßnahmen haben wir natürlich unsere Mitarbeiter mit Desinfektionsgel und Masken versorgt, damit sie maximal geschützt sind, wenn sie zu Kunden gehen.

Inwiefern hat auch die Anbindung von Multivac an die Pharmaindustrie in dieser Krise positiv ausgewirkt?

Auch in dem Bereich war die Aktivität intensiv. Darüber hinaus arbeiten wir mit einem Pharmahersteller zusammen, der künftig drei Millionen Masken pro Woche produzieren soll und kurzfristig nach Möglichkeiten suchte, diese steril zu verpacken. Wir müssen dafür die entsprechenden technischen Lösungen erarbeiten, aber die Tests, die wir gemacht haben, waren bislang positiv. Wir haben einen Showroom und ein Schulungszentrum, um Versuche durchzuführen und Kunden unsere Maschinen zu zeigen, die auch verkäuflich sind.