Wie meistern deutsche Unternehmen in Frankreich die Coronakrise? Das Beispiel Hager

07.07.2020

Interview mit Daniel Hager, Vorstandsvorsitzender der Hager Group, der erklärt, wie sein Unternehmen seine Tätigkeit in dieser Krisenzeit im Zusammenhang mit Covid-19 gemanagt und aufrechterhalten hat.

Herr Hager, Ihr Unternehmen hat seinen Hauptsitz in Deutschland, im Saarland, und einen großen Standort in Frankreich in der Region „Grand Est“. Welches sind die Geschäftsaktivitäten Ihres Unternehmens in beiden Ländern?

Die Hager Group ist einer der führenden Anbieter von Lösungen und Dienstleistungen für Elektroinstallationen in Wohn-, Gewerbe- und Industriegebäuden. Unser historisches Kerngeschäft ist die Verteilung von elektrischer Energie mit Schalttafeln, Leistungsschaltern und Fehlerstromschutzschaltern. Unsere Produkte und Lösungen erstrecken sich auf den gesamten Gebäudebereich. Dies reicht von der Kabelführung bis hin zu Schaltern, Steckdosen, Alarmsystemen, Rauchmeldern, Gegensprechanlagen und Ladeterminals für Elektrofahrzeuge. Ausgehend vom Kerngeschäft des Unternehmens ist es unser Bestreben, immer mehr Lösungen für ein intelligentes Energiemanagement in Gebäuden zu entwickeln.

Das Unternehmen wurde 1955 im Saarland gegründet. Das Saarland stand nach dem Zweiten Weltkrieg unter französischem Protektorat. Als die Region 1959 wieder in Deutschland eingegliedert wurde, beschlossen die Gründer, eine Fabrik im Elsass zu errichten. Wir sind also seit unseren Anfängen ein echtes deutsch-französisches Unternehmen. Heute befindet sich unser Hauptsitz im saarländischen Blieskastel, aber unser größter Produktionsstandort ist in Obernai im Elsass. Wir haben weitere Standorte in beiden Ländern (fünf in Frankreich und drei in Deutschland). Heute hat die Hager Group 11.500 Mitarbeiter und 20 Produktionsstätten in neun Ländern.

Wie hat sich die Gesundheitskrise auf die Aktivitäten Ihres Unternehmens ausgewirkt? Gab es Unterschiede zwischen Ihren Standorten in Deutschland oder Frankreich?

Wir haben zwei Produktionsstätten in China und waren demnach schon im Januar von der Krise betroffen. Sobald die Krise in Europa angekommen war, haben wir zahlreiche Maßnahmen ergriffen, um die Sicherheit unserer Mitarbeiter, die Kontinuität unserer Aktivitäten und damit die Nachhaltigkeit des Unternehmens zu gewährleisten.

Zu den Vorkehrungsmaßnahmen gehören insbesondere die Aussetzung aller Geschäftsreisen ins Ausland, alle Kundenbesuche sowie Schulungen vor Ort und der Empfang von externen Partnern an allen Standorten der Hager Group. Wir haben auch die Zahl der Mitarbeiter in Büros und Besprechungsräumen begrenzt, gleichzeitig die Hygienemaßnahmen verstärkt und Homeoffice da wo es ging, ermöglicht.  

Auch in Frankreich haben wir die Produktions- und Logistikaktivitäten an unseren fünf Industriestandorten vorübergehend eingestellt. Dies ermöglichte es uns, die Sicherheits- und Hygienebedingungen durch Audits zu überprüfen und die Umsetzung von Abstandsregeln für die Wiederaufnahme der Tätigkeit vorzubereiten. Wir haben auch die Aktivitäten identifiziert, die für die Geschäftskontinuität und für die Bedürfnisse unserer Kunden entscheidend sind.

An allen unseren deutschen Standorten wurde während der gesamten Zeit der Betrieb [unter entsprechenden Auflagen] weitergeführt. Natürlich haben wir in den Fabriken, Büros, Lagerhallen, Kantine usw. alle erforderlichen Gesundheits- und Sicherheitsvorkehrungen getroffen, um sicherzustellen, dass alle erforderlichen Sicherheits- und Hygienemaßnahmen getroffen wurden.

Welche Auswirkungen hat die Epidemie auf die Geschäftsaktivitäten Ihres Unternehmens gehabt? Was waren die Auswirkungen auf Ihre Auftragslage?

In Frankreich wurden etwa 90% der Bauaktivitäten während der Krise eingestellt, was sich unweigerlich auf unser Auftragsvolumen auswirkte. Seit dem 11. Mai 2020 hat die Baubranche nach und nach ihre Aktivitäten wieder aufgenommen, jedoch in einer sehr kontrollierten Weise - was auf eine schrittweise Wiederaufnahme der Tätigkeit für die gesamte Elektroindustrie schließen lässt. In Deutschland sind die Anzahl der Baustellen und die Tätigkeit der Elektriker ebenfalls zurückgegangen, aber nicht so erheblich wie in Frankreich. In Deutschland konnten wir weiterhin unsere Kunden beliefern.

Unsere französischen Werke produzieren auch Komponenten für andere europäische Länder. Die Einstellung des Betriebs für zwei Wochen Ende März, hatte Auswirkungen auf unsere gesamten industriellen Kapazitäten. Nichtsdestotrotz sind jetzt alle unsere Logistikzentren auf der ganzen Welt in Betrieb und unsere Werke erreichen wieder gute Produktionsraten, was eine positive Nachricht für unsere Kunden und für das Unternehmen ist.

Waren Sie in der Lage, die Produktion aufrechtzuerhalten, und wie haben Sie sich konkret organisiert?

In Frankreich haben wir angesichts der Eindämmungs- und Unsicherheitssituation beschlossen, die Produktion an allen unseren Standorten vorübergehend einzustellen. Nachdem wir in enger Abstimmung mit den Arbeitnehmervertretern Gesundheitsmaßnahmen umgesetzt hatten, konnten wir den Betrieb ab Mitte April schrittweise wiederaufnehmen. So messen wir beispielsweise die Temperatur aller Mitarbeiter, sobald sie die Werksgelände betreten und wir haben die Arbeitsplätze so eingerichtet, dass ein Mindestabstand von 1,5 m gewährleistet ist. Wir haben den Fluss des Ein- und Austritts auf das Gelände neu organisiert, so dass die Mitarbeiter beim Schichtwechsel nicht aneinander vorbeigehen. Und wir führen regelmäßige Desinfektionen durch.

In Deutschland wurde die Produktion aufrechterhalten, und wir haben seit Beginn der Krise verstärkte Sicherheits- und Hygienemaßnahmen umgesetzt: angepasste Arbeitsplatzregelungen, Distanzregelungen, wir haben die Spender mit hydro-alkoholischen Lösungen aufgestockt, Temperaturkontrollen an den Eingängen der Standorte, Einwegverkehr im Betriebsrestaurant usw. Natürlich wurde die Heimarbeit in der gesamten Gruppe stark ermöglicht und genutzt, um die Zahl der anwesenden Mitarbeiter so weit wie möglich zu begrenzen.

Hat Ihr Unternehmen die französische und die deutsche Regierung oder Gemeinschaft bei der Bewältigung der Epidemie unterstützt?

Auf jeden Fall. In mehreren Ländern, in denen wir tätig sind, wurden zahlreiche Initiativen ins Leben gerufen. Diese kollektive Mobilisierung hat es uns ermöglicht, eine Menge persönlicher Schutzausrüstung zu spenden. Mehr als 23.000 Masken (chirurgische und FFP2-Masken) wurden von uns weltweit gespendet, darunter fast 10.000 in Frankreich und mehr als 10.000 in Deutschland. Handschuhe, hydro-alkoholisches Gel, Kittel und Schutzhauben wurden auch verschiedenen Gesundheitsorganisationen zur Verfügung gestellt. Unsere Innovationsteams im Elsass arbeiteten mit den lokalen Fab Labs zusammen, um Schutzvisiere und 3D-Ventile für Easybreath-Masken und Atemschutzmasken von Decathlon herzustellen. Diese Teile wurden an Krankenhäuser in Straßburg geliefert. Zudem stehe ich in regelmäßigem Kontakt mit Berufsverbänden und Politikern auf beiden Seiten des Rheins, um der Stimme eines europäischen Unternehmers und Unternehmens Gehör zu verschaffen. 

Wie sind die wirtschaftlichen Aussichten für Ihr Unternehmen in diesem Jahr?

Die Krise wird wirtschaftliche und finanzielle Auswirkungen auf die Gruppe haben. Die Folgen der Gesundheitskrise werden schwerwiegend sein, obwohl der Bausektor weniger von politischen Entscheidungen betroffen war als andere Sektoren wie das Gastgewerbe, der Tourismus oder die Automobilindustrie.

Und wie beurteilen Sie die Lage der französischen Wirtschaft?

Die Restriktionen in Frankreich waren besonders einschneidend. Das Land befand sich zwei Monate lang praktisch im Stillstand. Es ist nicht überraschend, dass die französische Statistikbehörde INSEE unter diesen Bedingungen für das zweite Quartal 2020 einen Rückgang des Bruttoinlandsprodukts um etwa 20% erwartet. Die Auswirkungen der Krise dürften daher sehr gravierend sein. Ich befürchte einen langen und schwierigen Aufschwung, der von sozialen und politischen Krisen unterbrochen wird, wenn es uns nicht gelingt, die Situation schnell unter Kontrolle zu bringen und die wirtschaftliche und soziale Aktivität wieder anzukurbeln.

In beiden Ländern haben die Regierungen Programme zur Unterstützung der Wirtschaft aufgelegt. Ist dies Ihrer Meinung nach ausreichend? Welche anderen Maßnahmen schlagen Sie vor, um den Unternehmen bei der Bewältigung der Krise zu helfen?

Die Budgets, die auf nationaler und europäischer Ebene zur Bewältigung der Krise bereitgestellt werden, sind massiv. Glücklicherweise hat die Nothilfe dazu beigetragen, die dringendsten Probleme zu lindern. Leider kann kein einzelnes Land, nicht einmal die Europäische Union, eine Volkswirtschaft allein finanzieren. Alle Länder sind damit konfrontiert, ihre verschiedenen Wirtschaftsakteure am Leben zu halten und stehen vor dem Problem eines massiven Rückgangs ihrer finanziellen Einnahmen.

Es ist daher wichtig, dass die derzeit eingesetzten Mittel nicht zur Finanzierung des laufenden Staatshaushalts oder des Konsums verwendet werden, sondern für Investitionen in die Zukunft der Länder und Europas: den Ausbau der digitalen Infrastruktur, die Organisation des elektrischen und ökologischen Übergangs und verantwortungsvolle Umgang mit Mobilität und Bildung. All dies sind Schlüsselthemen für die Zukunft.

Die Behörden könnten auch Maßnahmen ergreifen, die keinen Pfennig kosten: Bürokratieabbau, Vereinfachung von Normen und Vorschriften oder Erleichterung der Schaffung von Arbeitsplätzen. Kurzum: Energien freisetzen, den Unternehmen und Unternehmern, die diese Krise verantwortungsvoll und vorbildlich bewältigt haben, Luft und Vertrauen geben.

Letztendlich ist allen Beteiligten eines klar: Eine zweite Welle muss um jeden Preis vermieden werden. Die öffentlichen Akteure müssen nun ihr Verständnis für die Ausbreitung des Virus erweitern und sich zu diesem Zweck mit geeigneter Ausstattung und entsprechenden Maßnahmen vorbereiten. Wir müssen aus dieser Krise lernen und auf jede andere Gesundheitsbedrohung vorbereitet sein. Viele Länder wie Südkorea und Singapur haben uns gezeigt, wie dies auf pragmatische und maßvolle Weise mit den Technologien des 21. Jahrhunderts zu bewerkstelligen ist.

Ich habe zwei Überzeugungen: Erstens werden wir lernen müssen, mit diesem Virus zu leben, und zweitens werden wir einen zweiten Stillstand nicht noch einmal verkraften.  

Wann wird Ihr Unternehmen Ihrer Meinung nach seine normale Tätigkeit wieder aufnehmen?

Der Begriff der "Normalität" ist relativ. Ich denke, dass das Jahr 2020 auf vielen Ebenen einen Bruch darstellen wird. Wir treten in eine neue Ära mit ihren Risiken und Chancen ein.

Was unser Unternehmen betrifft, so wird es meines Erachtens zwei bis drei Jahre dauern, bis wir wieder auf das Niveau von 2019 erreichen. Alle unsere Produktionsstätten sind in Betrieb, um die aufgelaufenen Verzögerungen aufzuholen. Dennoch fällt es aktuell schwer, die künftige Nachfrage abschätzen zu können.

Diese Krise verändert unbestreitbar die Art und Weise, wie wir arbeiten. Denn selbst wenn unser industrielles Produktionsniveau jetzt dem des letzten Jahres entspricht, wird die Produktivität durch die Gesundheits- und Sicherheitsmaßnahmen beeinträchtigt. Und wir haben gelernt, anders zu arbeiten: weniger Reisen, da wo es möglich ist mehr Homeoffice und mehr Flexibilität.

Abschließend können wir sagen, dass diese Krise, trotz ihrer Herausforderungen, die Transformation unseres Unternehmens, die wir vor einigen Jahren eingeleitet haben, durchaus beschleunigt.