Interview mit Christelle Garier-Reboul, Geschäftsführerin von B. Braun in Frankreich, die erklärt, wie ihr Unternehmen während der Coronakrise seine Aktivitäten und seine Produktion aufrechterhalten konnte.
Frau Garier-Reboul, welches sind die Geschäftsaktivitäten von B. Braun in Frankreich?
B. Braun ist mit mehr als 64.500 Mitarbeitern und einem Umsatz von 7,4 Milliarden Euro eines der weltweit führenden Unternehmen auf dem Gebiet der Medizinprodukte, Implantate und pharmazeutischen Spezialprodukten für Chirurgie, Infusion, Intensivmedizin und Anästhesie. B. Braun bietet auch maßgeschneiderte und leistungsstarke Lösungen für Stomapatienten und Patienten mit chronischen Erkrankungen wie Inkontinenz, Nierenversagen, Diabetes und chronischen Wunden in Selbstbehandlung oder häuslicher Pflege.
In Frankreich ist B. Braun der führende Arbeitgeber im Bereich der Medizintechnik mit 2.000 Mitarbeitern und 6 verschiedene Gesellschaften, die 7 Forschungs-, Produktions-, Logistik- und Dienstleistungsstandorte sowie 18 auf die Behandlung von chronischem Nierenversagen spezialisierte Gesundheitseinrichtungen umfassen. Zwischen 2015 und 2020 sind in Frankreich 150 bis 200 Millionen Euro in Produktion, Innovation und Dienstleistungen investiert worden.
Wie hat sich die Gesundheitskrise auf die Aktivitäten Ihres Unternehmens ausgewirkt?
Unser Unternehmen gehört zu einem der 12 für das Leben der Nation wesentlichen Bereiche, die von der Regierung bei der COVID-19-Pandemie identifiziert wurden.
Aufgrund des lebenswichtigen Charakters der Produkte, die für Patienten auf der ganzen Welt hergestellt werden, haben die meisten unserer Industriestandorte ihre Tätigkeit zu 100% aufrechterhalten, trotz dem Ausfall von Mitarbeitern ( u.a.wegen Kinderbetreuung), die auf dem Höhepunkt der Krise lokal bis zu 30% erreichen konnten.
Diese Krise veranlasste uns auch dazu, alle unsere Mitarbeiter von heute auf morgen von nicht produktionsnahen Funktionen in Homeoffice zu schicken. Ermöglicht wurde dies dank einer flexiblen Arbeitsorganisation und den seit 2 Jahren bestehenden modernen IT-Struktur und digitalen Einrichtungen. Unsere Mitarbeiter haben ein außerordentliches Engagement und vollen Einsatz gezeigt. Was gestern noch unmöglich schien, wurde in Rekordzeit erreicht, um unser Geschäft zu unterstützen und vor allem um die Fachkräfte im Gesundheitswesen, die in ganz Frankreich und auf der ganzen Welt auf unsere Produkte angewiesen sind, zu begleiten.
Trotzdem leiden wir auch weiterhin in einem Teil unserer Aktivitäten unter der abrupten Einstellung geplanter Operationen, sowohl auf industrieller Seite als auch vor Ort in den Krankenhäusern. Wir hoffen, dass diese medizinischen und chirurgischen Aktivitäten, die seit dem 17. März verlangsamt oder sogar ganz eingestellt wurden, bald wieder aufgenommen werden, um eine zweite Gesundheitskrise nach der ersten, die wir gerade erlebt haben, zu vermeiden.
Welche Auswirkungen hat der Ausbruch von Covid-19 auf die Geschäftstätigkeit Ihres Unternehmens gehabt? Haben Sie Auswirkungen auf Ihre Bestellungen bemerkt? Waren Sie in der Lage, die Produktion aufrechtzuerhalten, und wie haben Sie sich konkret organisiert?
Auf ihrer höchsten Ebene in Deutschland hat die B. Braun Gruppe eine Weltkoordinierungseinheit und eine Frankreich-Einheit eingerichtet, die ihre Standorte und Unternehmen zusammenfassen. Es gibt 2 Prioritäten: einerseits den Schutz der Arbeitnehmer zu gewährleisten und andererseits die Kontinuität der Aktivitäten zur Versorgung der Gesundheitseinrichtungen zu sichern.
Für alle diejenigen, für die es möglich war (in der Zentrale und an unseren Standorten), wurde in Homeoffice gearbeitet.
Das Produktionspersonal ermöglichte es dem Unternehmen, seine Aufgaben mit Fachleuten des Gesundheitswesens und Patienten zu erfüllen, indem es weiter produzierte. Wir haben zahlreiche Sicherheitsvorkehrungen getroffen, um die Sicherheit zu gewährleisten, wie etwa die Einführung von Regeln für den Personenfluss und die Erhöhung der Häufigkeit der Reinigung von Orten, an denen sich Personen aufhalten.
Wir alle sind stark mobilisiert, verantwortungsbewusst, geeint und solidarisch, um diese Krise zu bewältigen. Abwesenheit (Kinderbetreuung oder präventive Abwesenheit von Risikopersonen) erfordert eine Organisation, die aus dem Rahmen fällt. Wir haben großartige Mitarbeiter, die sich durch große Flexibilität und Solidarität auszeichnen - zum Beispiel haben sich an unseren Produktionsstandorten Mitarbeiter, die am Wochenende arbeiten, freiwillig bereit erklärt, unter der Woche zusätzlich einzuspringen.
Hat Ihr Unternehmen die Regierung oder die französische Gemeinschaft bei der Bewältigung der Folgen der Coronavirus-Epidemie unterstützt?
Der lebenswichtige und unverzichtbare Charakter unserer Produkte und Serviceleistungen war nie offensichtlicher als heute. Wir haben uns stark dafür eingesetzt, die Produktion und Versorgung von Gesundheitseinrichtungen in Frankreich und auf der ganzen Welt aufrechtzuerhalten, mit all der organisatorischen Energie, die dies unter solchen Umständen erfordert.
Natürlich haben wir unsere Rolle als Industrieunternehmen im Gesundheitswesen und als europäischer Familienkonzern mit starken gesellschaftlichen Werten in vollem Umfang wahrgenommen. Wir waren zur Stelle, als unsere Kunden und die Behörden uns baten, ihnen bei der Bewältigung dieser Pandemie zu helfen.
Als zum Beispiel im März das Brest University Hospital Center (CHRU) vollständig reorganisiert wurde, um potenziell COVID-Patienten aufnehmen zu können, empfing unser Dialysezentrum in Brest Dialysepatienten, die normalerweise vom CHRU behandelt werden, damit es seine Ressourcen auf die Bewältigung der Pandemie konzentrieren konnte.
Wie sind die wirtschaftlichen Aussichten für Ihr Unternehmen in diesem Jahr?
Es ist nach wie vor sehr schwierig, die Auswirkungen der Krise auf die Ergebnisse des Unternehmens abzuschätzen: Abgesehen von den Bereichen Reanimation, Hygiene und Desinfektion, die im März-April "überhitzt" waren, sind wir andererseits stark von der Einstellung planmäßiger chirurgischer Tätigkeiten betroffen, bei denen die Erholung nur sehr langsam voranschreitet. B. Braun hat das Glück, eine diversifizierte Tätigkeit in 18 therapeutischen Bereichen zu haben, die sich gegenseitig kompensieren, wenn einige in Schwierigkeiten sind. Dennoch mangelt es uns kurz- und mittelfristig immer noch an Sichtbarkeit, um genau zu wissen, wie das Jahr 2020 enden wird.
Und wie beurteilen Sie die Lage der französischen Wirtschaft? Die Regierung hat Programme zur Unterstützung der Wirtschaft aufgelegt. Ist dies Ihrer Meinung nach ausreichend?
Frankreich, das bereits durch monatelange soziale Konflikte geschwächt in die COVID-Krise geraten ist und äußerst strenge Eindämmungsmaßnahmen ergreifen musste, leidet noch mehr als seine europäischen Nachbarn unter den wirtschaftlichen Folgen dieser Krise. In der Tat ist zu befürchten, dass unser Land in diesem Jahr mindestens 11 BIP-Punkte verliert und die Arbeitslosigkeit stark ansteigen wird.
Auch wenn die Situation schwierig ist, müssen wir uns dennoch zu der Stärke der deutsch-französischen Freundschaft beglückwünschen, auf der Europa jetzt beruht und die es der Europäischen Union ermöglicht hat, starke Maßnahmen zur Unterstützung der Wirtschaft in der Eurozone zu ergreifen. Trotz dieses Unterstützungsplans auf europäischer Ebene und trotz der von der französischen Regierung ergriffenen Solidaritäts- und Unterstützungsmaßnahmen für die Wirtschaft ist jedoch zu befürchten, dass viele Unternehmen, KMU und Selbständige von der Wirtschaftskrise infolge der Gesundheitskrise betroffen sind oder sein werden.
In diesem Zusammenhang ist es unerlässlich, dass sich die Wirtschaft in Frankreich sehr schnell erholt, um die Auswirkungen zu begrenzen, durch Maßnahmen zur Unterstützung der Unternehmen und durch die grundlegenden Reformen, die unser Land braucht. Ich glaube auch, dass das deutsche Modell in bestimmten Aspekten positive Punkte gezeigt hat, von denen unsere Regierung lernen könnte. Insbesondere die Dezentralisierung bietet den Regionen größere Flexibilität und Agilität, was in Krisenzeiten nützlich sein kann, sei es eine Gesundheits- oder eine Wirtschaftskrise. In ähnlicher Weise scheinen die Wechselwirkungen zwischen den verschiedenen öffentlichen, privaten und industriellen Sektoren in Deutschland viel flüssiger zu sein als in Frankreich, mit einem sehr pragmatischen Ansatz beim Krisenmanagement bzw. Nicht-Krisenmanagement des Gesundheitssektors.
Wann glauben Sie, dass Ihr Unternehmen zum normalen Geschäftsbetrieb zurückkehren wird?
Die Signale, die wir von unseren Kunden und anderen europäischen Ländern erhalten, lassen uns hoffen, dass sich die Aktivitäten bereits in diesem Sommer teilweise erholen und sich im letzten Quartal des Jahres fast wieder normalisieren. Vorausgesetzt natürlich, dass es nicht zu einer zweiten Epidemiewelle kommt, die erneut die Einstellung nicht lebenswichtiger Aktivitäten erfordert, was für unser Land absolut katastrophal wäre.